„Scheitern gehört dazu“

„Scheitern gehört dazu“
Prof. Urs Baldegger, UNI Liechtenstein

Scheitern gilt als grosses Tabuthema. Viele Betroffene fühlen sich wie stigmatisiert. Um zu verstehen, dass Scheitern in keine Sackgasse führen muss und um nicht unnötig wirtschaftliches Potential zu vergeuden, muss mit der Problematik des Scheiterns anders umgegangen werden. 

Dass Fehler ganz normal sind und sogar zum Erfolg führen können, bringt Prof. Urs Baldegger seinen Studenten an der Universität Liechtenstein bei. Er leitet den Lehrstuhl für Entrepreneurship und hat für das Masterstudium die Vorlesung „Failing Forward“ als Pflichtfach verankert. Mit Rückschlägen umgehen zu können und daraus die richtigen Lehren zu ziehen sind nicht nur die Quintessenz der Vorlesung, sondern auch das A und O für eine Firmengründung.

Spielt die Persönlichkeit einer Person bei der Gründung eines Unternehmens eine Rolle?
Der Unternehmer oder das Unternehmerteam sind die treibende Kraft bei jedem Gründungsvorgang. Für eine erfolgreiche Unternehmensgründung ist immer eine entsprechende Kombination aus den Faktoren Ort, Umfeld und Person notwendig. Selten ist eine Chance sofort als solche erkennbar, es muss dem Unternehmer aber die Fähigkeit zur Chancenerkennung zugrunde liegen. Dieser Punkt ist auch das Kernelement des Bereichs Entrepreneurship.

Viele Start-Ups müssen nach kurzer Zeit für gescheitert erklärt werden. Welche Faktoren führen typischerweise dazu?
Der wichtigste Grund ist das Geschäftsmodell, das im Markt nicht greift. Der Kundennutzen ist nicht offensichtlich und das Marktpotential zu klein. In dieser Situation reicht der Umsatz nicht aus, die laufenden Kosten zu decken und das hat über kurz oder lang Liquiditätsprobleme zur Folge. Natürlich kann man letztlich immer den Unternehmer oder das Unternehmerteam als die wichtige Ursache des Scheiterns sehen. Aber das greift vielfach zu kurz, weil die in der komplexen Situation einer Neugründung fast zwangsläufig Fehler entstehen, die gut oder schlecht sein können.

Was ist der Unterschied zwischen sogenannten guten und schlechten Fehlern?
Schlechte Fehler sind zum Beispiel solche, die durch Überforderung entstehen, wie eine fehlende situative Bewältigung aufgrund mangelnder Kognition. Gute Fehler können zu einsichtigem Handeln führen, weil das Falsche in der Reichweite des Möglichen für die betreffende Person liegt. Der japanische Mathematiker Yutaka Taniyame hat einmal gesagt:  „Er war mit dieser besonderen Fähigkeit begabt, viele Fehler zu machen, die meist auf den richtigen Weg führten. Ich beneidete ihn darum und versuchte vergeblich, es ihm nachzutun, fand es jedoch ausgesprochen schwierig, gute Fehler zu machen. Scheitern kann eine bedeutsame Erfahrung sein, welche einen ansehnlichen Lebenslauf durchaus noch in der Lage ist aufzuwerten. Das ist  in den USA durchaus üblich.

Warum haben Sie das Thema Failing Forward in den Lehrplan eingebracht?
Erfolg und mögliches Scheitern kann man im Unternehmertum kaum voneinander trennen. Es ist deshalb wichtig, dass dieses Thema im Lehrplan vorkommt. Im näheren Umkreis gibt es allerdings recht wenige Universitäten, die Failing Forward im Lehrplan verankert haben. Für die Lehrveranstaltung haben wir ein Konzept erstellt und dabei nicht nur theoretische Konzepte miteinbezogen, sondern auch Erfahrungen von gescheiterten Unternehmern. Bei der Unterrichtsgestaltung müssen natürlich gewisse formelle Faktoren berücksichtigt werden, aber es ist durchaus erwünscht, dass man ein Lehrkonzept selbst erarbeitet und eigene Vorstellungen einbringt.

Wie kann man sich die Lehrveranstaltung „Failing Forward“ im Detail vorstellen?
Zuerst einmal gilt es, die unterschiedlichen Fehlertypen darzustellen: Es gibt vermeidbare Fehler, das sind die normalen Abweichungen vom Soll – zum Beispiel Fehler in der Produktion. Dann gibt es unvermeidbare Fehler - die kommen vor allem dann, wenn die Komplexität zwangsläufig zunimmt. Das ist bei einer Gründung meistens der Fall, denn man kann nicht alles vorausplanen. Dann gibt es „kluge Fehler“ -  das sind jene, für die man ein Experiment macht oder eine Simulation und bewusst versucht, daraus zu lernen. Das ist ein wichtiges Modul. Ein anderer Teil  der Lehrveranstaltung behandelt die Erfolgsbedingungen für den Re-Start - also wenn ein  Unternehmer wieder starten will. Solche Unternehmer gibt es viele, Henry Ford zum Beispiel ist zuerst auch gescheitert.  Einerseits lernen die Studenten, wie Fehler ablaufen und andererseits, wie man daraus lernen kann. Aus diesem Grund ist für den praxisnahen Unterricht  das Erarbeiten von Fallstudien integriert. Wir fordern die Studenten auf: „Nehmen wir an, Sie sind der Gründer, was würden Sie tun?“

Finden Sie  Menschen, die offen über ihre Fehlschläge berichten wollen?
Reden tut niemand gerne über das Scheitern. Es ist sehr, sehr schwierig, Personen zu finden. Es gibt viele erfolgreiche Unternehmer, die gerne ihr „Erfolgsrezept“ verkaufen, aber wenige, die über ihre Misserfolge berichten möchten. Wir haben dennoch einige Personen ausfindig machen können bzw. schon gekannt. Allerdings kann es auch vorkommen, dass diese ihr Scheitern bei einer Diskussionsrunde  etwas schönreden.

Die Botschaft der Lehrveranstaltung ist, dass Scheitern zum Unternehmertum gehört – es geht nicht nur um Erfolg, sondern auch negatives Wissen hat einen Stellenwert im Entrepreneurship. Es geht darum, wie man mit dem Scheitern umgeht – das ist genauso, wie wenn ein Fussballer mit einer Niederlage umgehen muss. Über Erfolg berichtet man sehr gern, über Misserfolg eher weniger. Dabei ergibt beides zusammen erst einen Kreis.

Was kann man sich unter negativem Wissen  vorstellen?
Ein wirksames Mittel, negatives Wissen aufzubauen, ist das Machen von Fehlern, von Nichtrichtigem, von Irrtum oder einfach von Falschem. Der subtile Umgang mit Fehlern kann dazu führen, dass Personen den gleichen Fehler nicht ein zweites Mal tun, sondern gleichsam durch den Fehler ein inneres Warnsystem aufbauen – also ein negatives Wissen, das genau dann zum Tragen kommt, wenn der Protagonist erneut in eine ähnliche Situation gerät.
Fehler allein führen nicht zu einer negativen Wissensstruktur. Es braucht die Einsicht, dass die Sache falsch definiert, falsch abgebildet, falsch entwickelt oder falsch abgelaufen ist.  Und es braucht Hilfe zu dieser Einsicht.

Menschen, so haben wir gesehen, machen in unterschiedlichen Situationen Fehler. Das ist der erste Schritt zum Aufbau von negativem Wissen. Es gibt aber auch einen zweiten Schritt: den Aufbau von und die Arbeit mit der Erinnerung an das Falsche. In einer neuen Situation soll das episodische Gedächtnis eine Funktion als „Warnsystem“ annehmen.

Werden Studenten an der Universität Liechtenstein im Besonderen motiviert, eigenständige Unternehmen zu gründen?
Laut einer internationalen Untersuchung über die unternehmerischen Absichten und Aktivitäten von Studenten liegt die Universität Liechtenstein deutlich über dem internationalen Durchschnitt. Damit werden der Universität sehr gute Rahmenbedingungen zugeschrieben, um den Unternehmergeist zu entwickeln. So können sich ausserordentlich viele Studenten an der Universität Liechtenstein vorstellen, künftig ein eigenes Unternehmen zu gründen und sehen dafür ein besonders geeignetes Umfeld. Das „Entrepreneur Valley“, wie das wirtschaftsstarke Rheintal auch bezeichnet wird, ist für Innovationen, Wachstum und somit auch für Neugründungen gut geeignet. Spürbare Hindernisse bei der Unternehmensgründung sind im internationalen Vergleich gering, dafür ist die Anzahl derjenigen, die ein Familienunternehmen übernehmen möchten vergleichsweise hoch.

Die  Studentenorganisation START der Universität Liechtenstein hat sich zum Ziel gesetzt, das unternehmerische Denken und Handeln unter den Studenten zu fördern. Wie geht sie dabei vor?
Mit START soll eine Brücke zwischen der theoretischen Universitätsausbildung und der Praxis geschlagen werden. Um dieses Ziel zu erreichen, werden verschiedene Events veranstaltet. Darunter der „Pioneers' Club“,  zudem Unternehmer eingeladen werden  um über ihre Erfahrungen zu berichten. Seit ungefähr zwei Jahren gibt es zusätzlich noch ‚Company Visits’,  bei denen Unternehmen in der Region besucht werden. Am Liechtensteiner Staatsfeiertag verkauft START gesunde Smoothies unter dem Motto „Unternehmertum trägt Früchte“ – eine eigens initiierte Studenteninitiative der potentiellen Unternehmer. Die Studenten hier haben Freude, Verantwortung für sich und andere zu übernehmen. Sie sind zudem  stark vernetzt mit Gründungsinitiativen in Deutschland und in der Schweiz.

Die Universität Liechtenstein hat auch den Business Plan Wettbewerb ins Leben gerufen.
Innerhalb der Universität am Institut für Entrepreneurship ist das KMU Zentrum angesiedelt,  bei dem die Unterstützung unternehmerischen Handelns im Mittelpunkt steht. Kleine und mittlere Unternehmungen in der Region werden im Laufe ihrer Entwicklung  begleitet - bei der Gründung, während der ersten Jahre des Bestehens, im Wachstum und im Wandel. Der Businessplanwettbewerb findet jährlich zur Entwicklung und Überprüfung professioneller Businesspläne statt. Der Gewinner des ersten Businessplanwettbewerbs ist auch heute noch sehr erfolgreich mit seiner Firma.

Können Sie von ein, zwei Beispielen von Start-Ups erzählen, die gescheitert sind?
Es gibt zum Beispiel die Geschichte des Labels My Miu, das sehr erfolgreich durchgestartet war. Hinter dem Label steht ein Brüderpaar, dass schon in frühen Jahren Unternehmergeist bewiesen und seine Ideen umgesetzt hat. Gerade zu dem Zeitpunkt, als die beiden mit ihrer Firma expandieren wollten, wurde ihnen von Prada mit einer Zivilklage gedroht – der Name des Labels stand in Verwechslungsgefahr mit dem Luxuslabel Miu Miu, einem Tochterunternehmen von Prada. Daraufhin musste das Gründungsteam den Betrieb einstellen und 17 Angestellte entlassen. Nach einiger Zeit ist dem Team ein erfolgreicher Re-Start mit dem Funktionsschuh Joya und der Modemarke Royal Sunday gelungen.

Ein anderer Jungunternehmer hat sich nach diversen Angestelltenverhältnissen in PR-Firmen entschieden, ein Onlineprojekt zu starten, welches mit der Webseite Pinterest zu vergleichen ist. Aufgrund von verschiedensten Problemen musste dieses Start-Up aber schon nach einem Jahr die Geschäftstätigkeit aufgeben.. Der Gedanke an einen Re-Start besteht beim Gründer aber immer noch. Er hat die Vision nicht aus den Augen verloren.

Gibt es eine Zauberformel für Erfolg?
Es gibt sicher keine Zauberformel, aber ein Begriff  ist in diesem Zusammenhang wichtig:  die kritische „Reflexion“. Viele Menschen tun gescheiterte Projekte mit Begründungen ab, wie beispielsweise „die Umstände waren gegen mich“. Sie suchen die Fehler im Umfeld. Dabei bringen sie sich um die wichtige Chance, aus Fehlern zu lernen. Man sollte genau analysieren, was passiert ist und nicht, wer Schuld hat.

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